Lost gilt jetzt schon als Klassiker der Fernsehgeschichte. Warum? Vielleicht, weil es ein altes Thema, die Robinsonade, in unsere moderne Zeit hebt, weil sie zeigt, wie aus Einzelgängern eine Gesellschaft wächst, vielleicht auch weil jeder Zuschauer im großen Cast seine eigene Identifikationsfigur entdecken kann.
Vielleicht liegt es auch einfach nur an der tollen Produktion der gesamten Serie, dem "cinematic look", der verwirrenden Kameraführung, die die unheimliche, undurchsichtige Grundstimmung weiter betont.
Das waren sehr viele vielleicht für einen Blogbeginn, aber vielleicht ist das auch das Wort, dass die Serie am besten charakterisiert. Auf dieser tropischen Insel irgendwo im Pazifik scheint alles möglich. Hier erleben wir Wunder, wie die spontane Heilung des gelähmten Locke und die Geburt des kleinen Aaron. Aber eben auch Überraschungen, z.B. das "Monster", die Dharma-Initiative oder auch die nicht auszuschließende Möglichkeit, dass die Insel mechanisch betrieben durchs Wasser treibt.
All dies sind Charakteristika einer neuer Art der Serie, auch gern als "
Quality-TV" beschrieben. So finden wir komplexe Zeitstrukturen, vielschichtige Figuren und hochwertiger Ästhetik. Lost ist eine diskontinuirlich erzählte Serie, die aber zum Verständnis kontinuirlich verfolgt werden muss. Man scheut nicht mehr vor komplexen, unbequemen Strukturen zurück, weil das Publikum so an sich gebunden werden kann. Die Serien sind voll mit intertextuellen Bezügen, die auch ein wiederholtes Anschauen sehenswert macht. Durch solche offenen Fragen kommt es zu einer
aktiven Fankultur inklusive
Lost-University im Internet, die ein komplettes Eintauchen in die Serie ermöglicht.
Die ganze Story von Lost scheint wie ein Spielplatz. Ein Spielplatz für die Autoren, die scheinbar jede noch so undenkbare Situation in die Serie schreiben können. Aber auch für die Schauspieler, die hier alle möglichen Gefühlsregungen in den Figuren durchleben können. Zu finden sind vor allem Anit-Helden, dich nicht nach dem klassichen Weichspüler-Konzept Saubermänner und -frauen sind. Das "tiefenpsychologische Erinnerungstheater" zeigt uns die Vergangenheit der Figuren, die interessanterweise ihre Überlebensfähigkeit auf der Insel meist nicht durch ethisch positive Lebensläufe erlangt haben. Die Figuren der Serie sind verloren, in ihrer äußeren, aber auch in ihrer inneren Welt. Ein jeder trägt sein dunkles Geheimnis in sich mit auf die Insel.
Daher könnte man auch die Sichtweise einer Vorhölle nach Vorbild des
Jean-Paul Sartre anlegen, dass die Personen hier für ihre Taten im "wahren" Leben bestraft werden. Diese Sichtweise der Bestrafung wird teilweise auch von den Figuren selbst interpretiert. Auch werden immer wieder klassische Bildsymbole der Toten verwandt, etwa Topshots.
Bis jetzt habe ich erst die erste Staffel komplett und die Anfänge der zweiten Staffel gesehen und bin schon völlig gefangen in der Serie. Eben lost in Lost. Only four Sessions to go...
cim - 3. Dez, 12:38